Verein zur Pflege der Denkmäler und der lokalen Kultur
in Neustift am Walde und Salmannsdorf

Die Wiener-Wald-Bahn
Als die Wiener-Wald-Bahn Währing mit dem Tullnerfeld verbinden sollte
Ing. Hannes Trinkl

„Die rapide Zunahme der Bevölkerung Wiens hat bekanntlich Übelstände hervorgerufen, deren Beseitigung von außerordentlicher Wichtigkeit für die jetzigen Zustände der Residenz, noch mehr aber für deren zukünftige Entwicklung ist“, schrieb schon vor 140 Jahren ein Chronist über die Zustände in Wien.
Dies in einer Zeit, die gerade den Krieg Frankreich gegen Deutschland 1870/71 überstanden, aber auch den Beginn einer Weltwirtschaftskrise vor Augen hatte, welche durch den Börsenkrach 1873 ausgelöst wurde. Die Gründerzeit schien dem Ende zuzugehen.
Andererseits aber auch ein prosperierendes Wien, das aus allen Nähten platzte und die eingangs erwähnten Zustände zu verarbeiten hatte. Gerade in dieser Zeit öffnete die Weltausstellung im Prater ihre Pforten und Wien zeigte sich von seiner besten Seite. Immer mehr Menschen wollten am bescheidenen Wohlstand teilhaben und mobiler werden. Die Ausflugsziele in der Umgebung der Stadt wurden immer beliebter. Fiaker, Kutschen und Zeiserlwagen konnten den Transport der vielen Menschen nicht mehr bewältigen. Es war die Zeit der Dampftramways und Kleinbahnen. Die Zahnradbahn auf den Kahlenberg, die Drahtseilbahn auf den Leopoldsberg und die sogenannte „Knöpferlbahn“ von der Rieglerhütte auf die Sophienalm wurden gebaut und in Betrieb genommen.
Es fehlte jedoch ein leistungsstarkes Verkehrsmittel, das der Bevölkerung einen Anreiz geben würde, sich weiter draußen, in damals noch unbewohnten Gebieten, anzusiedeln. Ein weiterer Grund neue Überlegungen anzustellen, war der immer größer werdende „Hunger“ der Großstadt Wien an Lebensmitteln, Baumaterialien und Brennstoffen. Dafür brauchte man ein billiges Transportmittel, das auch dem immer stärker zu spürenden Preisauftrieb entgegen wirken sollte.
So entstand 1873 die Idee eine neue Linie zu planen: die Wiener-Wald-Bahn. Diese sollte innerhalb der Währinger Linie (heute Währinger Gürtel) beginnen und über Pötzleinsdorf und Neustift am Walde hinauf zum Hameau und weiter über Steinriegel hinunter ins Tullnerfeld bis nach Sieghartskirchen führen. Sie sollte eine Streckenlänge von sechs Postmeilen haben, das sind ca. 45 Kilometer.
Als Stationen waren geplant: innerhalb der Währinger Linie, etwa heutige Kreuzung Währinger Straße/Nussdorfer Straße) - Türkenschanze - Pötzleinsdorf (etwa in der Mitte der heutigen Strehlgasse) - Neustift am Walde (etwa bei Nr. 40) - Salmannsdorf (etwa auf Höhe der Hameaustraße Nr. 45) - Hochsteineck (nördlich dem Neuberg) - Dreimarkstein - Hameau - Scheiblingstein - Steinriegel - St. Andrä - Königstetten - Tulbing - Freundorf - Lösing - Sieghartskirchen.
Die Projektanten bewarben diese Linienführung mit einer Menge von Vorteilen: Erschließung von sehr großen Gebieten, neue Ansiedelungen in der Nähe der Stadt Wien, Begünstigung von „gesunden Ortschaften“, „Inslebenrufung von Colonien“. Weiters sollte das Projekt dem Tourismus neue Impulse geben und eine „Vergnügungsbahn par excellentes“ werden. Die wesentlichste Begründung bildeten die Lebensmitteltransporte von und nach Wien, die Versorgung der Stadt mit Brennholz aus dem Wienerwald, sowie die Zufuhr von Kohlen aus dem neu entdeckten Kohlenlager bei Sieghartskirchen zu günstigsten Konditionen.
Die geplanten 1,4 Millionen Fahrgäste und der Transport von rund 10.000 Tonnen tierischer Produkte, 36.000 Tonnen pflanzlicher Rohstoffe und ca. 120.000 Tonnen mineralischer Materialien sollten die Wiener-Wald-Bahn lukrativ werden lassen.
Nachdem sich sowohl der Wiener Gemeinderat als auch die von der geplanten Bahn berührten Gemeinden und auch Niederösterreich für diese Bahn ausgesprochen hatten, fehlten zur Realisierung der Wiener-Wald-Bahn nur mehr die staatlichen Bewilligungen sowie die Unternehmungen, welche die Bahn finanzieren, erbauen und betreiben sollten.
Das Innenministerium erteilte im Frühjahr 1873 die Bewilligung zur Errichtung einer Aktien-Gesellschaft der Firma „Wienerwald Bahn und Baugesellschaft“, an welcher sich einige Baufirmen beteiligten. In der Planungsphase des Projekts im Verlauf der Jahre 1873/74 wurde die Planung der Trassenführung innerhalb der Stadt und der Vororte immer komplizierter, da gleichzeitig auch das Straßennetz sowie das Kanal- und Wasserleitungsnetz berücksichtigt werden mussten. Dies verzögerte natürlich das ambitionierte Projekt. Auch das Bahnprojekt selbst unterlag einige Male einer Umplanung: Varianten einer Normalspur, ein- oder zweigleisig, Verbindung mit der Kaiserin-Elisabeth-Bahn - heute Westbahn - ja oder nein und schlussendlich blieb aus Kostengründen nur mehr eine Schmalspurvariante bis zum Hameau.
Anfang 1875 schlug die Wirtschaftskrise auf den Immobilien- und Finanzmarkt derartig stark durch, dass immer mehr Unternehmen in Schwierigkeiten kamen und das erforderliche Kapital für den Bau der Wiener-Wald-Bahn nicht mehr auftreiben konnten. Die Zustimmung zu dem Projekt hatte danach immer weniger Befürworter. Wieder einmal beschäftigte sich der Gemeinderat mit der Angelegenheit. „Die Presse“ berichtet am 9. März 1875 über die Beratungen: „Zwei Referate erinnern an die gute, alte Zeit, es sind dies die Referate über die Einwölbung des Wienflusses und die Erbauung der Wiener-Wald-Bahn - es denkt heute kaum einer der Projectanten noch an die Existenz der Projecte, geschweige denn an deren Ausführung“.
Einige Jahre später, nämlich 1892, wurde die Überwölbung des Wienflusses gesetzlich beschlossen, die Regulierungsarbeiten erfolgten schließlich zwischen 1895 und 1899, gleichzeitig mit dem Ausbau der beiderseits gelegenen Sammelkanäle und dem Bau der Stadtbahn. Dem Projekt Wiener-Wald-Bahn wurde jedoch der Elan genommen und es wurde nie mehr zum Leben erweckt.
Heute muss man sagen, es war gut so, denn was wäre aus dem Wienerwald geworden, wenn entlang der Bahnlinie überall Siedlungen entstanden wären. Josef Schöffel, der schon 1870 für den Schutz des Wienerwaldes und gegen eine Abholzung kämpfte, hätte sich vermutlich besonders über das nicht Zustandekommen der Wiener-Wald-Bahn gefreut.


Quelle:
Prospectus der Wiener-Wald-Bahn, 1874
ANNO / Österreichische Nationalbibliothek

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